https://www.grenzwissenschaft-aktuell.de


Montag, 7. Februar 2011

"Nichts drin, nichts dran": Rückschau auf die Anti-Homöopathie-Kampagne "10:23"

Berliner Luft: "10:23"-Gruppenbild mit Tor | Copyright/Quelle: Nic Frank, nicsbloghaus.org / Creative Commons 3.0 Deutschland Lizenz

Berlin/ Deutschland - Während die im Vorfeld von der "Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften" (GWUP) in den Medien propagierte Beteiligung der Skeptiker-Gruppen in Deutschland, Österreich und der Schweiz an der internationalen Protestaktion gegen die Homöopathie "10:23" am vergangenen Wochenende aufgrund (man möge uns die Formulierung verzeihen) fast schon homöopathisch potenzierter Teilnehmerzahlen im Sande verlief, hält die Kritik daran weiterhin an - und das nicht nur in Homöopathenkreisen.

Während bereits zuvor der "Deutsche Zentralverein Homöopathischer Ärzte" (DZVhÄ) die Aktion als "unsinnig" bezeichnete und über die sachlichen Hintergründe homöopathischer Anwendungen und das richtige Vorgehen einer homöopathischen Arzneimittelprüfung informierte (...wir berichteten), schlossen sich dieser Kritik erwartungsgemäß auch andere homöopathische Verbände und Institutionen an. So wies beispielsweise die "Karl und Veronica Carstens-Stiftung" darauf hin, "dass homöopathische Arzneimittel dem Arzneimittelgesetz (AMG) unterliegen. Der Aufruf, sie kollektiv einzunehmen, könnte einer klinischen Prüfung gleichkommen und damit genehmigungspflichtig sein."

Weiterhin stellt die Stiftung fest, dass die Aktion "10:23" nach wissenschaftlichen Kriterien keinerlei Aussagekraft habe. Vielmehr trivialisiere sie das eigentliche Erkenntnisproblem in der Homöopathieforschung und reduziert das komplexe Therapiesystem Homöopathie auf die Eigenschaften der homöopathischen Arzneimittel:

"Die wiederholt gestellte Forderung der (10:23-)Veranstalter, den Nachweis der Wirksamkeit von Arzneimitteln mit wissenschaftlichen Methoden zu überprüfen, wird mit dieser Vorgehensweise entkräftet.

Die Gründe hierfür sind:

- Es fehlt jegliche Form der Messung von Symptomen (bspw. in Form einer Befragung oder sorgfältigen Dokumentation) nach der Einnahme der Homöopathika.
- Es gibt keine Kontrollgruppe. Damit fehlt jede Form der Verblindung der Studienleiter und Teilnehmer, um Voreingenommenheit und Ergebnisverfälschungen auszuschließen.
- Einschlusskriterien für Probanden sind nicht gegeben. Dadurch wird ein Vergleich der Probanden untereinander unmöglich.
- Der Gesundheitszustand zum Zeitpunkt der Einnahme wird nicht erfasst. Damit kann eine Veränderung der Befindlichkeit (wenn gemessen würde) nicht erkannt werden.
- Darüber hinaus werden sämtliche Kriterien einer homöopathischen Arzneimittelprüfung am Gesunden missachtet, z. B. die Häufigkeit der Einnahme, die Glaubwürdigkeit und Gewissenhaftigkeit der Probanden und die Dosierung der Arzneimittel."

www.grenzwissenschaft-aktuell.de
+ + + HIER können Sie unseren täglichen Newsletter bestellen + + +

Als bedenklich kritisieren einige Kritiker der Aktion "10:23"* weiterhin auch den Umstand, dass an einigen Einnahme-Aktionen, etwa in Köln, nicht nur eigenverantwortlich Erwachsene, sondern auch Kinder in das "Überdosierungs-Happening" miteinbezogen wurden; tritt doch die GWUP immer dann, wenn es auch um die homöopathischer Behandlung durch Eltern und Mediziner geht auch für die "medizinische Sicherheit von Kindern" ein.

"10:23 in Köln: "Es kann passieren, dass einem etwas flau im Magen wird - dass kommt dann aber vom Zucker..."

Klicken Sie auf die Bildmitte, um das Video zu starten

Ähnlich kritisch wie die Carsten-Stiftung wird die Aktion auch vom "Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte" (BfArM) beurteilt. Hier wies man im Vorfeld der Aktion und begleitend darauf hin, dass trotz der kontroversen Diskussion um Sinn oder Nicht-Sinn der Homöopathie, homöopathische Mittel als Arzneimittel gelten und empfiehlt Patientinnen und Patienten ganz grundsätzlich, mit Arzneimitteln verantwortlich umzugehen:

"Insbesondere mit Überdosierungen können mögliche gesundheitliche Risiken verbunden sein. Aus Sicht des BfArM tragen Aufrufe, Arzneimittel in Überdosierungen einzunehmen, nicht zur Aufklärung und Sensibilisierung von Patientinnen und Patienten bei.


Ob es sich bei der Aktion möglicherweise um eine genehmigungspflichtige klinische Prüfung handeln könnte, können wir aufgrund der zurzeit nur sehr begrenzt vorliegenden Informationen noch nicht abschließend bewerten. Gleichwohl werden wir die Situation auf diese Fragestellung hin weiter überprüfen, um bei Bedarf Maßnahmen zur Sicherheit von Patientinnen und Patienten anstoßen zu können."

Tatsächlich hatte die GWUP im Vorfeld selbst ihre Mitstreiter via Facebook ausdrücklich dazu ermahnt, "die exakten Details von Zeit und Platz ausschließlich in vertrauensvollem Kreis zu kommunizieren, um potenzielle Sabotagen der Demo möglichst auszuschließen".

"10:23" in München: "Schön, dass so viele gekommen sind..."


Klicken Sie auf die Bildmitte, um das Video zu starten

Dieser Vorgabe wurde von der GWUP-Gemeinde dann offenbar doch etwas zu streng befolgt, fanden sich zu den verabredeten Treffen in Hamburg, Berlin, München, Köln, Essen und Zürich (wo sich die eidgenössischen Skeptiker als "Freidenker" bezeichnen) doch jeweils kaum mehr als 20 Personen (s. bspw. Abb. und Videos o.). Lediglich auf dem Wiener Stephansplatz kamen knapp 50 Personen zur Aktion zusammen.

"10:23" in Wien


Klicken Sie auf die Bildmitte, um das Video zu starten

Auch international stieß das Event, das laut den Veranstaltern (1023.org.uk) in 54 Städten in 27 veranstaltet wurde und "die bis zur Antarktis reicht", auf ähnlich geringes Interesse und niedrige Teilnehmerzahlen, wie die Bilder einer Auswahl der weltweiten Aktionen zeigen. Lediglich die Zentralveranstaltung in Manchester gelang es dann doch, beachtliche 350 Teilnehmer zu mobilisieren.

350 Teilnehmer bei "10:23" in Manchester

Klicken Sie auf die Bildmitte, um das Video zu starten

Was bleibt sei lediglich der Show-Effekt, kommentierte treffend der "Kölner Stadt-Anzeiger" in seinem Bericht zur dortigen Veranstaltung und erinnert an eine legendäre Szene zu Zeiten der BSE-Krise, als der britische Landwirtschaftsminister John Gummer öffentlich in einen Hamburger biss, um die Sicherheit heimischer Fleischprodukte zu demonstrieren.

- Die Studienlage zur Wirksamkeit der homöopathischen Arzneimittel ist laut einer Übersichtsarbeit der Carstens-Stiftung bislang uneinheitlich. Diese finden Sie HIER

- Kritische Informationen der GWUP zur Homöopathie, Links und Literatur finden Sie HIER

- Eine umfangreiche Literatur- und Linksammlung zum Thema finden Sie HIER

* Der Name der Kampagne "1023" leitet sich von der Avogadro´schen Zahl ab, einer chemischen Stoffmengengesetzmäßigkeit, nach der bei einer Verdünnung von mehr als 1:1023 statistisch gesehen kein Molekül der Ausgangssubstanz mehr in der Lösung vorhanden ist.

Quellen: grenzwissenschaft-aktuell.de / 1023.org.uk / gwup.org / kyriacou.ch / ksta.de /
nicsbloghaus.org
Copyright: grenzwissenschaft-aktuell.de
(falls nicht anders angegeben)


Für die Inhalte externer Links übernehmen wir keine Verantwortung oder Haftung.


WEITERE MELDUNGEN finden Sie auf unserer STARTSEITE