
Symbolbild: Angst. | Copyright: Public Domain
Zürich (Schweiz) - Das dumpfe Gefühl in der Magengegend angesichts einer bedrohlichen Situation ist eine weit verbreitete Volksweisheit. Schweizer Wissenschaftler haben nun im Experiment mit Ratten erstmals nachgewiesen, dass dieses "Bauchgefühl" maßgeblich das Angstverhalten beeinflusst.
Ein unbeleuchtetes, einsames Parkhaus bei Nacht, Schritte in der Dunkelheit. Das Herz schlägt schneller, der Magen zieht sich zusammen. Bedrohliche Situationen spüren wir oft im Bauch. Diesem sprichwörtlichen "Bauchgefühl" sind Wissenschaftler der ETH Zürich auf den Grund gegangen, nachdem lange alleinig das Gehirn als Zentrum unserer Emotionen galt.
Wie die Forscher um den ETH-Professor Wolfgang Langhans und Urs Meyer aktuell in der Fachzeitschrift " Journal of Neuroscience" (DOI: 10.1523/JNEUROSCI.0252-14.2014) berichten, kontrolliere nicht nur das Gehirn die Vorgänge in der Bauchhöhle, sondern der Bauch sendet auch Signale zurück ans Gehirn. Im Zentrum des "Zwiegesprächs zwischen Gehirn und Bauchraum", so erläutern die Wissenschaftler, stehe der Vagusnerv, der Signale in beiden Richtungen, vom Gehirn an die inneren Organe (über sogenannte afferente Nervenstränge) und umgekehrt vom Bauch ans Gehirn (über afferente Stränge), übermittelt.
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Indem die Forscher besagte afferente Nervenstränge bei den Versuchstieren kappten, konnte das Gehirn bei den Versuchstieren zwar weiter Prozesse im Bauchraum steuern, erhielt aber keine Nachrichten mehr von dort.
In den darauffolgenden Verhaltensstudien stellten die Forschenden dann fest, dass die Ratten weniger Scheu vor offenen Flächen und hellem Licht zeigten als Kontrolltiere mit intaktem Vagusnerv. "Das angeborene Angstverhalten scheint deutlich durch Signale vom Bauch ans Gehirn beeinflusst zu werden", erläutert Meyer.
Gänzlich furchtlos machte der Verlust des Bauchgefühls die Ratten aber nicht: Denn die Situation bei erlerntem Angstverhalten sah anders aus. "In einem Konditionierungsexperiment lernten die Ratten, einen neutralen akustischen Reiz - einen Ton - mit einer unangenehmen Erfahrung zu verbinden", erläutert die Pressemitteilung der ETH. "Dabei schien der Bauch-Gehirn-Signalweg keine Rolle zu spielen, und die Versuchstiere lernten ebenso wie die Kontrolltiere, den Ton mit negativen Folgen zu assoziieren. Stellten die Forschenden jedoch von einem negativen auf einen neutralen Reiz um, brauchten die Ratten ohne 'Bauchgefühl' deutlich länger, den Ton mit der neuen, nun neutralen Situation zu assoziieren." Das passe auch zu den Ergebnissen einer von anderen Forschern kürzlich veröffentlichten Studie, wonach die Stimulation des Vagusnervs das Umlernen fördere.
Diese Erkenntnisse sind auch für die Psychiatrie von Interesse, da etwa beim Post-Traumatischen Stresssyndrom (PTSD) ebenfalls neutrale Reize mit durch Extremerfahrungen ausgelöster Angst verknüpft werden. "Die Stimulation des Vagusnervs könnte Patienten mit PTSD dabei helfen, die auslösenden Reize wieder mit etwas Neutralem zu assoziieren. Ärzte wenden die Vagusnervstimulation bereits bei Epilepsie und in Einzelfällen bei Depressionen an", hoffen die Forscher.
"Weniger angeborene Scheu, aber längeres Festhalten an erlernter Angst – das klingt vielleicht widersprüchlich", räumt Meyer ein. Angeborene und erlernte Angst seien aber zwei unterschiedliche Verhaltensdomänen, bei denen verschiedene Signalsysteme im Gehirn angesprochen werden. So fanden die Forschenden bei genauerer Untersuchung der Rattengehirne auch, dass der Verlust der Signale vom Bauchraum die Produktion von bestimmten Signalstoffen im Gehirn, sogenannten Neurotransmittern, veränderte.
"Wir konnten zum ersten Mal zeigen, dass das gezielte Unterbrechen des Signalwegs vom Bauch ins Gehirn komplexe Verhaltensmuster verändert. Bisher wurden diese Verhaltensmuster immer allein dem Gehirn zugeschrieben", sagt Meyer. Die Studie zeige nun deutlich, dass der Bauch beim Angstverhalten ebenfalls mitrede. Was der Bauch sage, also was genau signalisiert werde, sei allerdings noch nicht klar. Die Forschenden hoffen jedoch, in zukünftigen Studien die Rolle des Vagusnervs und der Zwiesprache zwischen Gehirn und Körper weiter aufzuklären.
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Quelle: ethz.ch