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Mittwoch, 11. März 2009

Pflanzliches Schmerzempfinden? Forscher finden neuartige elektrische Signale bei Pflanzen

Archiv: Tabakpflanze | Copyright: Martin Barth/GNU FDL

Gießen/ Deutschland - Wissenschaftler der Justus-Liebig-Universität Gießen und des Max-Planck-Instituts für chemische Ökologie in Jena haben eine neue Form der elektrischen Reizleitung in verschiedenen Pflanzenarten entdeckt. Dieses als „systemisches Potenzial“ bezeichnete elektrische Signal wird von Blatt zu Blatt weitergegeben und durch Verwundung von pflanzlichem Gewebe ausgelöst. Von "Schmerzen" der Pflanze, so die Experten, könne jedoch nur im übertragenen Sinne die Rede sein.

Wie die Forscher im Fachjournal "Plant Physiology" (Vol. 149, März 2009) darlegen, konnten mithilfe von Feinglas-Mikroelektroden elektrische Signale in Pflanzen gemessen werden, die sich in Form von Spannungsänderungen über die Zellmembrane mit einer Geschwindigkeit von 5 und 10 Zentimeter pro Minute von Blatt zu Blatt ausbreiten.

Entdeckt wurde dieses bislang unbekannte elektrische Reizleitungssystem durch eine neuartige Methode bei der die für die Messungen notwendigen, faserartigen Elektroden - ohne das Blatt zu verletzen - durch geöffnete mikroskopisch kleine Öffnungen in der Blattoberfläche, die dem Wasserhaushalt und Gasaustausch dienen und die die Pflanze je nach Bedarf öffnen oder schließen kann (sog. Stomata) in die Blätter und dann auf die Zellwände des inneren Blattgewebes gesetzt wurden.

Durch Stomata (dunkelgrün) werden Elektroden in das innere Blattgewebe eingeführt. Auf diese Art können dann hier elektrische Vorgänge gemessen werden | Quelle: Justus-Liebig-Universität Gießen, H. Felle

Hierbei zeigte sich, dass das von den Forschern als "systemisches Potenzial" bezeichnete elektrische Signal durch Verwundung ausgelöst und sogar moduliert werden kann: Wird ein Blatt der Pflanze verletzt, so ist der Reiz je nach Art und Konzentration zugegebener Kationen (beispielsweise Kalzium, Kalium oder Magnesium) unterschiedlich hoch und kann über lange Strecken auch in den unverletzten Blättern gemessen werden.

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Nicht der Transport von Ionen über Zellmembranen, sondern die Aktivierung so genannter Protonen-Pumpen, so die Wissenschaftler um Prof. Hubert Felle von der Universität Gießen und Axel Mithöfer vom Max-Planck-Institut für chemische Ökologie in Jena, verursache die Spannungsänderungen, die sich vom Blatt über den Spross bis zum nächsten Blatt fortpflanzen: "Somit ist das von uns gemessene 'systemische Potenzial' überhaupt nicht mit einem klassischen Aktionspotenzial zu vergleichen, wie man es in tierischen Nervenzellen oder auch in Pflanzen findet“, erläutert Felle.

Aktionspotenziale folgen einer "Alles oder Nichts"-Regel und werden erst ab einem bestimmten Schwellenwert ausgelöst und verbreiten sich dann mit konstanter Stärke. Das "systemische Signal" hingegen kann gleichzeitig Träger mehrerer Informationen sein: Die Stärke des auslösenden Stimulus (Wundsignal) kann den Ausschlag des systemischen Signals (Amplitude) beeinflussen, ebenso wie die Wirkung unterschiedlicher Ionen. "Damit sind wir vielleicht einer wichtigen Reizleitung auf der Spur, die auch durch Raupenfraß ausgelöst wird, die gesamte Pflanze alarmiert und ihre Verteidigung gegen den Schädling in Gange setzt, und dies
innerhalb weniger Minuten", so Mithöfer.

Bislang konnte das neuartige "systemische Signal" in fünf verschiedenen Pflanzenarten nachgewiesen werden, darunter die Nutzpflanzen Tabak (Nicotiana tabacum), Mais (Zea mays), Gerste (Hordeum vulgare) und Ackerbohne (Vicia faba).

Gegenüber "Grenzwissenschaft-Aktuell.de" zeigte sich Prof. Dr. Hubert Felle jedoch zurückhaltend, wenn es darum geht, die neu entdeckten Signale als "Schmerzempfinden" der Pflanze zu verstehen:

"Die Bezeichnung 'Schmerzsignal' ist, was Pflanzen anbetrifft, natürlich ein potentiell problematischer Ausdruck, da er ein tierisches Gefühl mit einer pflanzlichen Reaktion vergleicht bzw. sogar fast gleichstellt. Grundsätzlich ist zu bemerken, dass der Terminus "Schmerz" belegt ist und sich so nicht auf Pflanzen übertragen lässt. Man müsste also einen anderen adäquaten Ausdruck dafür finden.

Da Pflanzen kein Gehirn haben, wird ihnen eine Verletzung auch nicht bewusst; allerdings wird sie bemerkt und es wird angemessen darauf reagiert um gegebenenfalls zu verhindern, dass es wieder passiert. Da Pflanzen sessile (festsitzende) Organismen sind und nicht weglaufen können, greifen hier andere Strategien. Das sind z.B. die rasche (innert ca. 30 Minuten) Produktion von Substanzen, die einen Angreifer (z.B. eine Raupe oder einen Käfer der Blätter anfrisst), davon abhalten das in Zukunft zu tun; also zum Beispiel schmeckt es nicht mehr, der Angreifer wird geschädigt oder es werden durch flüchtige Substanzen Fressfeinde angelockt.

Die Information, dies zu tun wird durch die Bissverletzungen und wahrscheinlich auch das Abgeben von Speichelsekreten initiiert. Dabei werden chemische Signale oder eben physikalische Signale (elektrische Spannungsänderungen) vom befallenen Blatt zum nächsten oder zum nächsten Zweig, etc. gegeben (diesen Vorgang nennt man 'systemisch'). Ich würde dies allerdings nicht als 'Schmerzreaktionen' bezeichnen.

Anders verhält es sich mit Verletzungen, die etwa durch Hitze (Feuer) entstehen. Hier reagiert die Pflanze panikartig mit der Hochregulierung einer großen Anzahl von Genen, die für die Exprimierung einer breiten Palette von Stressproteinen stehen. Die Pflanze "weiß" nicht wie ihr geschah und reagiert mit allen ihr zur Verfügung stehenden Möglichkeiten, um gerüstet zu sein. Wenn dann aber keine spezifischere Information nachkommt, dann werden diese Stressreaktionen wieder heruntergefahren. Ob man eine solche Reaktion als "Schmerzreaktion" bezeichnen kann, bedarf einer sorgfältigen Abwägung."

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Quellen: grenzwissenschaft-aktuell.de / ice.mpg.de / uni-giessen.de
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