
Präparierter Quastenflosser im Naturkundlichen Museum Wien. | Copyright/Quelle: Alberto Fernandez Fernandez, CC-BY-SA 3.0
Leipzig (Deutschland) - Bis 1938 ein noch kurz zuvor lebendes Exemplar auf einem südafrikanischen Fischmarkt entdeckt wurde, galten Quastenflosser als seit rund 70 Millionen Jahre ausgestorben und Berichte über Sichtungen oder Beifänge wurden als Seemannsgarn abgetan. Anhand der Aufschlüsselung des genetischen Codes der urzeitlich anmutenden und schon 400 Millionen Jahre alten Fischart erlangen Wissenschaftler nun neue Erkenntnisse über die evolutionäre Anpassung der Lebewesen vom Wasser aufs Land.
Es sind die charakteristischen Gelenkansätze, die den Quastenflosser zum Zeugen einer Entwicklungsphase der Erde machen, als sich alles Leben noch im Meer abspielte. Während das Genom des Quastenflossers bislang gänzlich unbekannt war, hat ein internationales Konsortium, an dem auch deutsche Wissenschaftler u.a. der Universitäten Leipzig und Konstanz beteiligt waren, nun den genetischen Code der Tiere aufgeschlüsselt und die Forschungsergebnisse Fachzeitschrift "Nature" veröffentlicht.
Mit 2,9 Milliarden Buchstaben enthält das Genom des Quastenflossers fast so viele "Bausteine" wie das des Menschen, weswegen sie mit uns näher verwandt sind als mit anderen "Fischen" wie etwa Hecht oder Lachs.
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Mit der evolutionären Linie der Landwirbeltiere - zu der auch der Mensch zählt - hatten sie zuletzt vor etwa 420 Millionen Jahren einen gemeinsamen Vorfahren. Der gemeinsame Vorfahre, den der Quastenflosser mit den Fischen hat, lebte hingegen noch mehr als 20 Millionen Jahren vorher.
Die Auswertung der einzelnen Forschungsergebnisse von Wissenschaftlern aus aller Welt führte zu wichtigen Erkenntnissen über die evolutionäre Anpassung der Lebewesen vor Millionen von Jahren. "Der Quastenflosser ist von seinen Enzymen her extrem konservativ. Er hat sich sehr viel langsamer entwickelt als andere Tiere", berichtet der Bioinformatiker Prof. Dr. Peter Stadler von der Universität Leipzig. Warum dies so ist, kann die Fachwelt bislang jedoch nicht sagen.
Aus dem gewonnenen Wissen über das Genom dieses vom Aussterben bedrohten Tieres können die Wissenschaftler jedoch zu neuen Erkenntnissen über die evolutionäre Anpassung der Landtiere kommen, die ursprünglich auch alle im Wasser lebten. Besonders der Übergang von den Flossen zu den Landextremitäten sei interessant. "Der Quastenflosser schaut heute noch so aus wie die 400 Millionen Jahre alten Fischfossilien", so Stadler. Im Gegensatz zu anderen Tieren ist er jedoch im Meer - seinem ursprünglichen Element - geblieben.
"Die Analyse des Quastenflossergenoms zeigt nun - mit größerer statistischer Wahrscheinlichkeit als vorherige Studien -, dass unter den Fischen die Lungenfische und nicht der Quastenflosser die nächsten lebenden Verwandten der Landwirbeltiere sind", erläutert die Pressemitteilung der Universität Konstanz. Zum ersten Mal wurde dies bereits 1990 anhand eines sehr viel kleineren genetischen Datensatzes gezeigt (Meyer und Wilson, Journal of Molecular Evolution, 1990). Allerdings haben Lungenfische Genome, die bis zu dreißigmal größer sind als die des Menschen und deshalb auch aus technischen Gründen bisher noch nicht sequenziert worden sind. "Somit stellt das Quastenflossergenom die bisher beste Möglichkeit dar, nach genomischen Gemeinsamkeiten, aber auch Unterschieden zwischen 'fleischflossigen' Fischen - wie dem Quastenflosser - und dem Genom der Landwirbeltiere zu suchen."
Quastenflosser, so die Erkenntnisse der Wissenschaftler, scheinen sich nicht nur morphologisch, sondern auch in einigen, aber nicht allen Aspekten ihrer molekularen Evolution verhältnismäßig langsam zu entwickeln. "Offensichtlich stellt das Leben an Land hinsichtlich einer ganzen Reihe von Anpassungen andere Ansprüche an Organismen als das im Wasser", so die Konstanzer Wissenschaftler um Prof. Axel Meyer. Das betreffe beispielsweise die Sauerstoffaufnahme, die Fortbewegung, wobei Flossen zu Gliedmaßen wurden, der Geruchsinn, das Hören und der Harnstoffwechsel. "Obwohl die Quastenflosser und die Landwirbeltiere durch über 800 Millionen Jahre separater evolutionärer Geschichte getrennt sind, ließen sich in ihrem jeweiligen Genom noch etliche gemeinsame genetische Anpassungen für das Leben an Land entdecken."
Quastenflosser haben einige morphologische und physiologische Merkmale, beispielsweise die Knochenstruktur ihrer Flossen, die sie als den "Fleischflossern" (Sarcopterygii) zugehörig kennzeichnen. Im Genom des Quastenflossers konnten die Forscher nun ein so genanntes regulatorisches Element, also eine Art "Genschalter", gefunden werden, der wahrscheinlich in der Embryonalentwicklung der Gliedmaßen, jedoch nicht der Fischflossen eine wichtige Rolle spielt. Dies konnte mit transgenen Mäusen gezeigt werden, in denen mit diesem Element des Quastenflossers - "Insel 1“ genannt - das passende Gen zur Entwicklung der Mäusegliedmaßen reguliert wurde.
Weitere Analysen des Quastenflossergenoms zeigen, dass ein Genschalter im so genannten Hoxa14-Gen wahrscheinlich schon im gemeinsamen Vorfahren von Quastenflossern und Landwirbeltieren vorhanden war. "Dieser Genschalter ist wichtig in der Plazenta der Säugetiere", so das Team um Meyer. "Quastenflosser legen keine Eier - wie die meisten anderen Fische -, sondern gebären lebende Jungfische, die im Mutterleib ausgebrütet werden. Wie das Genom des Quastenflossers zeigt, werden während der Evolution gelegentlich schon vorhandene Gene und Interaktionen zwischen Genen 'recycled' und für neue Anwendungen wiederverwendet und erlauben so die Entstehung von Innovationen. Einige der wichtigsten evolutionären Erfindungen sind, wie das Genom des Quastenflosser zeigt, wahrscheinlich eher durch Veränderungen in der Steuerung älterer Gene entstanden, als dass sie komplett neu entstanden wären."
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Quellen: uni-konstanz.de, uni-leipzig.de